Kontroverse Interpretationen von Patientenverfügungen am Lebensende - Drei Fälle aus dem praktischen Alltag
Markus Fani
Klinik für Gerontopsychiatrie, GPT u. GPS,
Pfalzklinikum für Psychiatrie u. Neurologie, Klingenmünster
Zielsetzung/Fragestellung:
In den letzten Jahren wird bei Senioren im Krankenhaus immer häufiger
nach dem Vorliegen einer Patientenverfügung gefragt. Hintergrund ist die
Absicht, mehr Rechtssicherheit im Falle einer Reanimationspflichtigkeit zu
erlangen.
Es wird vermutet, das das generelle Vorliegen einer Patientenverfügung
gleich gesetzt wird, mit dem gewünschten Unterlassen einer Reanimation
bei unerwartetem Kreislaufversagen.
Ziel des Vortrags ist es, darzustellen dass vor der Anordnung eines "No-CPR" (keine
kardiopulmonale Reanimation) die vorliegende Verfügung genau nach ihren
Inhalten studiert, mit der aktuellen Lebens- und Gesundheitssituation verglichen
und die Entscheidung erst nach Abstimmung mit den bevollmächtigten Angehörigen/dem
Team nach gewissenhafter Überlegung und nicht pauschal getroffen werden
sollte.
Materialien/Methoden:
Es werden 3 Sterbefälle aus dem Betrieb der gerontopsychiatrischen Klinik
vorgestellt mit unterschiedlicher Vorgehensweise und Reaktionen:
FALL 1: 70-jähriger Pat. mit Verhaltensstörungen, seit mind. 5 J.
kognitive Defizite, vor 4 J. neurologische Abklärung, Therapie mit Rivastigmin
und zuletzt Quetiapin. Kurz nach stat. Aufnahme Entwicklung von Schluckstörungen,
die entsprechend der Pat.verfügung zu einer palliativen Situation und
allseits akzeptiert nach 2 Wo. zum Tod führen.
FALL 2: 85-jähriger Pat. mit rez. Depression seit dem 28. Lj., 4 Wo. zuvor
Myokardinfarkt erlitten, in Klinik gleitet Depression rasch in Delir mit plötzlichem,
unerwartetem Kreislaufstillstand. Reanimation vom Notarzt beendet. Nachträglich
Bedenken, ob bei Pat.verfügung die Reanimation nicht hätte unterlassen
werden müssen.
FALL 3: 87-jährige Pat. mit Multimorbidität ohne psychiatrische Vorgeschichte,
Aufnahme delirant, dann alle 3 Tage Kreislaufsynkopen, so dass mit der bevollmächtigten
Tochter "keine lebensverlängernden Maßnahmen" besprochen
wird. Ein nächtlicher Kreislaufstillstand führt durch den AVD zur
Reanimation und durch den Notarzt zur Verlegung auf Intensivstation, wo die
Pat. verstirbt. Daraufhin Beschwerde der Tochter.
Ergebnisse:
Nach Vorstellung der drei Fälle erfolgt eine Gegenüberstellung der
Perspektiven von Behandler, Patient, Angehörigen und Jurist. Die aktuelle
Entscheidung des BGH, eine Schmerzensgeld und Schadenersatzklage wegen unerwünschter
Lebensverlängerung bei Demenz abzuweisen ("es verbiete sich, Weiterleben
als Schaden anzusehen"), bestärkt zu lebenserhaltendem Vorgehen umso
mehr, je kürzer und akuter sich der momentane Krankheitsverlauf gestaltet
hat. Für die Entscheidung der Unterlassung einer Reanimation sollte ein
genaues Studium des Wortlauts der Pat.verfügung, die Interpretation und
Diskussion des Inhalts mit bevollmächtigten Angehörigen und gegebenenfalls
die Einbeziehung des Hausarztes voraus gegangen sein. Die Entscheidung gegen
eine Reanimation sollte im Doku-System der Klinik hinsichtlich der Umsetzung
auch am Wochenende oder in der Nacht gesichert sein.
Zusammenfassung/Schlussfolgerung:
Anhand von drei Sterbekonstellationen werden kontroverse Ansichten und Reaktionen
aufgezeigt. Die gerontopsychiatrische Klinik in der Südpfalz stellt
sich mit ihren Erfahrungen gerne der kollegialen Diskussion. Die intern
abgeleiteten Konsequenzen (kasuistische Vorstellung in Gesamtklinikum,
Diskussion im klinischen Ethik-Komitee, externe Fortbildung der Pflegemitarbeiter,
Einführen eines Merkmals in der digitalen Patientenakte) werden vorgestellt.