Delirdiagnose und –schweregrad mit dem deutschsprachigen, operationalisierten I-CAM-S: Validierunganhand der großen PAWEL-Stichprobe an 1560 Älteren mit Elektivoperationen
Lorenz Sutter1, Carola
Bruns1,
Michael A. Rapp2, G. Eschweiler3,
Christine Thomas1,
1Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie für Ältere,
Klinikum Stuttgart Zentrum für Seelische Gesundheit, Stuttgart
2Department Sport- und Gesundheitswissenschaften, Universität
Potsdam
3Geriatrisches Zentrum, Universitätsklinikum der Eberhard-Karls-Universität
Tübingen
Zielsetzung/Fragestellung:
Der Algorithmus der Confusion Assessment Method CAM (Inouye et al 1990) wird
am häu-figsten zum Delir- Screening eingesetzt (Neufeld 2015) und
weist die höchste Delir-Spezifität des DSMIV/V-Delirs bei sehr
effizienter Handhabbarkeit auf. Aufbauend auf den deutschen CAM (Hestermann
et al 2009) erlaubt der I-CAM neben der ICD-10-Delirdiagnose motori-sche
Subtypen des Delirs zu erkennen (Thomas et al 2012). Eine Erweiterung (CAM-S
zur Delirschweregradbestimmung wurde 2014 auf Englisch vorgelegt (Inouye
et al 2014).
Die PAWEL-Studie ist die europaweit größte multizentrische Delirpräventionsstudie
bei Elek-tivoperationen mit einem Ein-Jahres-Follow-Up zur POCD- und Demenzerfassung,
die der-zeit vom Innovationsfonds gefördert wird. Für diese Studie
wurde der I-CAM-S zur täglichen Delirdiagnostik, Delirschweregrad und
-subtyperfassung in deutscher Sprache erstellt und entsprechend operationalisiert.
Anders als im englischen Vorläufer werden neuropsychologische Testaufgaben
zur Festlegung der Delirschwere eingesetzt und nicht nur „weiche“ Ein-schätzungen
(leicht/schwer) verwendet. Im Rahmen der PAWEL-Studie wird diese Operationalisierung
derzeit validiert.
Materialien/Methoden:
Der I-CAM-S berücksichtigt für die Delir-Diagnosestellung den CAM-Algorithmus
(für DSM-Delir), ergänzt diesen aber durch eine Schweregraddifferenzierung
der 4 Einzel-Items (0-7 P). Zusätzlich wird die psycho-motorische Symptomatik
des Pat. erfragt, sodass auch der Subtyp (hyperaktiv, hypoaktiv und gemischt
oder ohne mot. Symptomatik) festgestellt werden kann. So kann auch ein ICD-10-Delir
erfasst werden. Die Validierung des I-CAM-S erfolgt an-hand der großen
Stichprobe mit unterschiedlicher kognitiver Leistungsfähigkeit. Hierfür
wer-den die täglichen postoperativen Assessments genutzt. Die Validität
der Delirdiagnose und die Delirschwere werden durch einen Vergleich mit NuDesc,
RASS und einem Chart-Review überprüft. Die Gesamtreliabilität
und Testgüte des I-CAM-S werden ermittelt, die Reliabilität der Einzel-items
wird anhand einer IRR-Analyse bestimmt.
Ergebnisse:
Die Operationalisierung des I-CAM-S und seine Anwendung werden präsentiert.
Eine schwere Aufmerksamkeitsstörung lag vor, wenn <4 Monate rückwärts
benannt werden konnten, ab 7 Monaten in Reihe war die Aufmerksamkeit regelrecht.
Die Denkstörung, im deutschen CAM (Hestermann et al 2009) mit einer Logikfrage
operationalisiert (Unterschied von Treppe/ Leiter) wurde für die Schweregraderfassung
durch eine Frage zur Gemeinsamkeit von Objekten ergänzt. Wurde die Unterschiedsfrage
verfehlt, die Gemeinsamkeitsfragen aber korrekt gelöst, bestand eine leichte
Denk-Störung. Sensitivität und Spezifität des I-CAM-S wird an
einer Subgruppe dargestellt.
Zusammenfassung/Schlussfolgerung:
Der I-CAM-S ermöglicht die Erfassung der Delirdiagnose und des Delirschweregrades
bei Patienten die wach genug sind, um eine einfache neuropsychologische Testfrage
zu beantworten. Beim Vorliegen einer mehr als leichten Sedierung ist die Delir-Schweregrad-bestimmung
aufgrund der Vigilanzminderung zumeist nicht mehr durchführbar, hier werden
(nach der Systematik in Inouye et al. 2014) jeweils höhere Schweregrade
postuliert. Dies macht den Test anfällig für Sedierungs-Bias. Die
Anwendung des I-CAM-S gelingt gut, wenn auch zeitweise die tägliche Redundanz
der Fragen von den Patienten als unangenehm benannt wurde. Der I-CAM-S ist
im Alltag sinnvoll und reliabel einsetzbar. Er benötigt eine kurze Untersuchungszeit
von ca. 5-10 Minuten. Eine eingehende Schulung der Rater wurde durchgeführt
und empfiehlt sich. Ebenso ist es erforderlich, anhand einer Pflegebefragung,
die vergangenen 24 Std in die Beurteilung mit einzubeziehen, da sonst die fluktuierende
Symptomatik eines Delirs nicht erfasst wird und ggf. eine falsch negative Diagnose
resultiert.